Energiepolitische Entscheidungen im Jahr 2022 dürfen nicht zu Gas Lock-ins führen.


27. Juni 2022 – Dieser Article ist auch auf Englisch und Französisch verfügbar



Inmitten der Klimakrise müssen sich die G7 über die ungleichen Auswirkungen ihrer Energiepolitik auf globaler Ebene bewusst sein. Das bedeutet: Weg vom Gas, und mehr Transparenz bei Wasserstoff.



Die G7 müssen sich vom Gas lossagen


Die Invasion der Ukraine wird als Vorwand für den Ausbau fossiler Infrastruktur genutzt. Obwohl viele Länder Versprechen über die Reduktion Ihres Gasverbrauches kundtun, finden solche Entwicklungen überall auf der Welt statt, insbesondere aber unter G7-Mitgliedern wie Deutschland, der EU oder den USA.

Deutschland plant u.A. den Bau mehrerer neuer Onshore-LNG-Terminals, die allerdings frühestens 2026 betriebsbereit sein werden. Diese verstärken eine langfristige Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und bieten nicht nur keine unmittelbare Versorgungssicherheit, sondern verstoßen auch gegen die Klimaziele der EU und beschleunigen die globale Klimakatastrophe.

Die EU veröffentlicht regelmäßig eine Liste von im Schnellverfahren durchzuführenden Gas Infrastrukturprojekten, zu der im Rahmen des REPowerEU-Plans der Europäischen Union überraschenderweise 13 neue Gasprojekte hinzugefügt wurden. Insgesamt erhöht sich damit die Zahl auf 30 - obwohl neue Untersuchungen zeigen, dass nur ein einziges LNG-Terminal in Finnland ausreichen würde, um die Energiesicherheit der EU zu gewährleisten.

Jenseits des Atlantiks sind die US-amerikanischen Gasexporte ebenfalls in die Höhe geschnellt. 25 neue LNG-Projekte mit einem Ausstoß von mindestens 90 Millionen Tonnen Treibhausgasen wurden in Auftrag gegeben (Zum Vergleich: das entspricht 20 Kohlekraftwerken). Zusätzlich wurde in diesem Jahr die Erschließung von neun neuen Öl- und Gasfeldern genehmigt.

All dies sind finanzielle und politische Investitionen, die weit in die Zukunft reichen und die wirtschaftliche Abhängigkeit von Gas international verankern. Renommierte internationale Akteure wie die Internationale Energieagentur oder der UN-Generalsekretär António Guterrez sind sich einig, dass keine neue fossile Infrastruktur gebaut werden sollte, um die Klimaziele zu erreichen, und dass solche Investitionen "wahnhaft" wären.

Vor allem aber könnten sie illegal sein: Eine Koalition von NGOs unter der Führung von Client Earth klagt in einem bahnbrechenden Gerichtsverfahren gegen die fortgesetzte Finanzierung und die Fast-Track-Genehmigungen für fossile Brennstoffe in der EU - ein Urteil zugunsten der NGOs würde die Legitimität von Gasförderung weltweit infrage stellen.  


Die G7 müssen transparent über Wasserstoff werden

Politische Entscheidungsträger:innen rechtfertigen die massiven Investitionen in fossile Infrastrukturen damit, dass diese später für umweltfreundlicheren Wasserstoff genutzt werden können. Dieses Narrativ wurde von einflussreichen Gas- und Wasserstofflobbyist:innen vorangetrieben, die laut einem Bericht von Food and Water Europe 58,6 Millionen Euro ausgaben, um politische Entscheidungen der EU zu beeinflussen, und sich allein im Jahr 2020 über 180 Mal mit der EU-Kommission trafen.

Dies hat die EU-Institutionen dazu veranlasst, zunehmend auf legal ambivalente Begriffe wie "hydrogen-ready" zurückzugreifen, um den Ausbau der Gasinfrastruktur zu rechtfertigen, obwohl Studien darauf hinweisen, dass ein Wasserstoffnetz in jedem Szenario deutlich kleiner sein wird als das bereits bestehende Netz für fossiles Gas. Der Ausbau der Gasinfrastruktur, wie er im kürzlich veröffentlichten REPowerEU-Plan vorgeschlagen wird, macht daher fossile "Lock-ins" und "stranded assets" unvermeidlich.




Abbildung zum Risiko von Stranded Assets im Gassektor (Quelle)

Die EU will bis 2030 10 Millionen Tonnen "erneuerbaren Wasserstoff" für die schwer zu dekarbonisierende Industrie produzieren. Die Umweltstandards sind jedoch nach wie vor unklar, so dass Unternehmen und nationale Regierungen auf eine Einstufung des kohlenstoff intensiven Wasserstoffs als "grün" bestehen könnten - wie aktuell durch die EU-Taxonomie beispielhaft verdeutlicht wird. Diese schlägt vor, fossiles Gas als nachhaltig zu bezeichnen. Zudem werden derzeit 97 % des europäischen Wasserstoffs mit fossilen Brennstoffen hergestellt. Beides deutet darauf hin, dass sogenannter erneuerbarer Wasserstoff zu einem weiteren Schlupfloch für die Aufrechterhaltung der Abhängigkeit Europas von klimaschädlichen Energieressourcen wird.

Das Narrative von fossilem Gas als erneuerbar oder Brückentechnologie – ist sowohl veraltet als auch gefährlich, wie ein Bericht des International Institute for Sustainable Development (IISD) erklärt. "Erstens ist die Klimakrise jetzt dringlich: Im verbleibenden Platz in der Atmosphäre gibt es keinen Raum mehr für zusätzliche fossile Brennstoffe. Zweitens sind die Kosten für Wind- und Solarenergie, sowie Energiespeicherung rapide gesunken und können in großem Maßstab eingesetzt werden können: es besteht kein Bedarf mehr an einer Brückentechnologie.

Drittens untergraben jüngste Erkenntnisse über das Ausmaß von Methan-Lecks die angebliche Umweltfreundlichkeit von Gas gegenüber anderen fossilen Brennstoffen." Noch dazu kommt, dass Gasunternehmen ihre Methanemissionen strukturell als zu gering deklarieren. Zudem ist Methan extrem klimaschädlich: über einen Zeitraum von 20 Jahren heizt eine Tonne Methan die Erde 86 Mal so sehr auf wie die gleiche Menge CO2.

Die Probleme mit Wasserstoff gehen jedoch weit über eine mögliche Korruption durch Unternehmen und gefährliche Verbindungen zu fossilem Gas hinaus. Sie "stellen eine neue Art der neokolonialen Ausbeutung dar, zu einer Zeit, in der erneuerbare Ressourcen für den lokalen Energiebedarf und die Klimaziele genutzt werden sollten, anstatt der EU bei der Umsetzung ihrer Klimastrategie zu helfen", so die NGO Corporate Europe Observatory.

Die EU drängt darauf, große Mengen des so genannten 'grünen Wasserstoffs' aus Nord- und Westafrika zu importieren. Dabei gehen während des Transports nach Europa über 60 % der für die Herstellung von grünem Wasserstoff verwendeten Energie verloren: die Entwicklung von erneuerbare Energie-Projekten zur direkten Nutzung sowohl in Europa als auch in Afrika wäre deshalb dreimal effizienter. Anstatt weiter Energie nach Europa zu exportieren, könnten also Länder wie Ägypten oder Algerien Solar Infrastruktur nutzen, um ihren Strom bis 2030 um bis zu 50 % zu dekarbonisieren.

Somit ist klar, dass Energiesicherheit nicht durch einen weiteren Ausbau von Gas oder Wasserstoff erreicht werden kann. Die G7 Mitglieder sind intransparent über die gefährlichen Auswirkungen ihrer anhaltenden Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und konzentrieren sich ausschließlich darauf, die Abhängigkeit von russischem Gas kurzfristig zu verringern.

Wir brauchen intelligente und logische Lösungen für die Energie- und Klimakrise, die den bestehenden Klimazielen nicht im Weg stehen. Das bedeutet, dass sich die G7-Staaten von ihrer Abhängigkeit von Gas loslösen müssen und ehrlich über die Umweltschädlichkeit und neokolonialen Politik von Wasserstoffimporten sprechen müssen. Stattdessen muss umgehend in eine sozial gerechte Solar- und Wind Infrastruktur investiert werden, die ein dringend notwendiger Schritt in Richtung einer gerechteren und nachhaltigeren Zukunft sind.